Gulli Glosse
In die oben genannte Kategorie fällt zum Beispiel der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU). Nach jedem Terroranschlag, größeren IT-Angriff oder sonst jedem Aufsehen erregenden Verbrechen reflexartig mehr Überwachung zu fordern, ist ja bei den Damen und Herren der Unionsparteien schon normal und bedarf keiner besonderen Erwähnung mehr (konsequent zuende gedacht haben dieses Verhalten die Kollegen vom Postillon). Dafür allerdings mehr als eine Woche zu brauchen, und das als angeblicher Innenpolitik-Experte, ist schon ein schwaches Bild. Das muss besser werden; Bosbach liegt mit seiner Reaktionszeit derzeit bei mindestens acht Uhl. Ich bin zuversichtlich, dass er seinen Wert mit etwas Unterstützung in kurzer Zeit auf nicht mehr als sechs Uhl verbessern kann - ist schließlich nicht so, als sei für diese Reaktion großartiges Nachdenken erforderlich. Als kleine Unterstützung für ihn und andere bedürftige Unionspolitikerinnen und -politiker habe ich mir erlaubt, ein kleines Flowchart zu basteln, das die komplexe Problemstellung der Innen- und Sicherheitspolitik verständlich und umfassend aufbereitet. Da soll noch einer sagen, wir bei Gulli hätten kein Herz für die Verfechter einer invasiveren Sicherheitspolitik…
Wo wir übrigens gerade bei Verfechtern einer invasiveren Sicherheitspolitik sind: diese brauchen auch auf EU-Ebene unsere Hilfe. Dort soll nämlich eine Experten-Kommission einberufen werden, die eine mögliche Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung analysieren soll. Da nämlich mittlerweile zu viele Leute über soziale Netzwerke kommunizieren statt per Telefon und E-Mail, was 2003 noch keiner wissen konnte, besteht sonst die Gefahr, dass wir Katzen, unser Mittagessen oder die Aktivitäten vom Wochenende diskutieren - oder, um Himmels Willen, respektlose Witze machen - ohne dass die Polizei und die Regierung das mitbekommen. Um diesem unhaltbaren Zustand einen Riegel vorzuschieben, soll die Kommunikation über Twitter, Facebook und ähnliche Dienste (zum Glück hat die EU das Zeitalter von SonstwasVZ durch Abwarten verpasst, sonst müsste sie zukünftig Gruppen überwachen wie "Das ist kein Chaos, sondern ein neuartiges Ordnungssystem" und "Morgen ist verdammt nochmal erst, wenn ich geschlafen habe" überwachen und sich fragen, wieso zur Hölle meine Tätigkeit bei Gulli seit Jahren unter "Special Operations" gelistet wird) künftig ebenfalls gedatenvorratsspeichert… datengevorratsspeichert… vorratsgedatenspeichert… vorratsdatengespeichert… whatever, verdachtsunabhängig archiviert werden. Dabei gibt es jedoch ein kleines Problem: eine derartige Regelung würde die Speicherung und Analyse des gesamten Internet-Datenverkehrs erfordern. Das aber wurde 2003 schon einmal erwogen und wegen wahrscheinlicher Unvereinbarkeit mit der EU-Grundrechtscharta und nationalen Verfassungen zügig verworfen. Wie dieses Problem seitdem gelöst wurde? Tja, blöderweise gar nicht. Derzeit ignoriert die EU-Kommission dieses kleine Hindernis offenbar geflissentlich. Hier kommen wir ins Spiel: wir crowdsourcen dieses Problem jetzt einfach mal. Begründungen, Ausreden, juristische Fiktionen und Terrorkeulen werden dringend gesucht. Wer das abstruseste Szenario entwirft, wie das kleine Grundrechts-Problem elegant und zugleich in Anlehnung an bekannte innenpolitische Entscheidungsmuster (siehe oben) gelöst werden kann, erhält einen Ehrenplatz in der Glosse von nächster Woche (ich kann allerdings nicht versprechen, dass er oder sie nicht auch einen Ehrenplatz in irgendeiner Antiterrordatei wegen Durchschauens der Regierungspolitik und Aktivität auf subversiven Websites erhält).
Ebenfalls einen kleinen Denkanstoß brauchen könnten offenbar die Entwickler von SimCity. Bei diesem Spiel nämlich sorgt der neueste Patch statt für einen reibungslosen Spielablauf für neue Probleme (Nutzer von Windows XP dürften jetzt nostalgische Gefühle bekommen, da ging erfahrungsgemäß auch gerne jeden Monat etwas anderes kaputt). Unter anderem sorgt der Patch für extreme Luftverschmutzung, defekte Bahnhöfe, plötzliche Geldnot, zahlreiche Staus, ein extrem gesteigertes Müllaufkommen, eine unzuverlässige Feuerwehr sowie das Problem, dass begonnene Bauprojekte einfach nicht fertiggestellt werden. Das kommt mir bekannt vor. Offenbar wurde in den meisten EU-Ländern sowie in den USA vor einiger Zeit ein SimCity-Patch installiert. Endlich sind Wirtschaftskrise, der Berliner Großflughafen, die Elbphilharmonie und einiges andere schlüssig erklärt. Jetzt müssten wir nur noch wissen, wie das Downgrade funktioniert.
Kommen wir zu einer Gruppe, die offenbar ihre Begegnung mit Erle, Birke und Weide schon hinter sich hat: dem US-Senat. Dieser hat doch tatsächlich angekündigt, schon zum zweiten Mal das IT-Sicherheitsgesetz CISPA wegen Datenschutz-Bedenken abzulehnen. Es sieht so aus, als könnte das ehrgeizige Projekt STIUP (Search Terrestrial Intelligence in US Politics) doch noch von Erfolg gekrönt sein…
Dann gibt es da noch Leute, die sogar für das stilvolle Begehen von Verbrechen zu doof sind. Ein solcher ist offenbar Matthew Flannery alias "Aush0k". Dieser wurde von den Ermittlungsbehörden seines Heimatlandes Australien kürzlich festgenommen, weil er verdächtigt wird, Hackerzeugs gehackerzeugst zu haben. Außerdem soll er in diversen Foren behauptet haben, der Chef von LulzSec zu sein. Das allerdings wurde von einem anderen LulzSec-Hacktivisten am Freitag dementiert. Der Festgenommene sei noch nicht einmal ein Mitglied der Gruppe gewesen, sondern nur ein "wütendes aufmerksamkeitsgeiles Scriptkiddie". Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen - erst Straftaten begehen, dann dafür Ärger bekommen, und dann gibt das noch nicht einmal Coolness-Punkte auf dem Schulhof, sondern nur Hohn und Spott. Ähnliches blüht nun wohl auch dem Chef von CyberBunker, der nach seiner allzu vollmundigen Prahlerei mit einer Beteiligung am Spamhaus-DDoS nun in Spanien festgenommen wurde. Bei manchen Leuten reicht die Qualifikation offenbar wirklich nur für eine Karriere in der Politik. Da sind IT-Kenntnisse bekanntlich vollkommen optional, ebenso wie Stilgefühl und kritisches Denken.
Eigentlich wollte ich ja noch etwas lustiges zu Eugene Kaspersky schreiben, der mal wieder vor extremistischen Cybers, Verzeihung, vor dem Cyber-Terrorismus warnte. Aber zu solchen Äußerungen fällt mir irgendwie wenig ein, ganz einfach, weil ich bei Kaspersky nie weiß, ob er tatsächlich in der Lage ist, Paranoia und Autoritätsgläubigkeit in unvergleichlicher Weise zu vereinen (ich vermute, in Wladimir Putins Russland ist das durchaus denkbar), oder ob er einfach so abgrundtief zynisch ist, dass er mit derartigen Äußerungen seine Produkte vermarkten will. Ich weiß noch nicht einmal, welche Vorstellung ich schlimmer finde…
Eher tröstlich ist dagegen die Vorstellung, dass wir, egal, wie verrückt es in der Welt wird, immer noch etwas zum Staunen, Lachen und kreativ Werden finden. In diesem Sinne freue ich mich schon auf den nächsten Wochenrückblick - an Material, da bin ich zuversichtlich, wird es nicht mangeln. Bis nächste Woche!
am Sonntag, 28.04.2013 19:14 Uhr
News Redaktion am 21.09.2016, 09:04 Uhr
So tickt die Welt eben: Einige Menschen haben so viel Geld, dass sie nicht wissen, was sie damit tun sollen, andere müssen darum bangen, sich etwas zu Essen leisten zu können. Der Sohn eines chinesischen Milliardärs beispielsweise kaufte für seinen Hund gleich sieben iPhones.