Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst. Das ist das Fazit der Cologne Commons 2010, Konferenz und Festival zur freien digitalen Kultur, organisiert von Moritz “mo.” Sauer, Frank Christian Stoffel, Marco Medkour und Martin Wisniowski. Zwar hatten die üblichen Verdächtigen, das Wetter (am Freitag zu gut und am Samstag zu schlecht) sowie die beginnende Weltmeisterschaft, sicherlich einige potentielle Besucher ferngehalten, aber gerade der intime, persönliche Charakter, den auch die beiden Austragungsorte in Köln-Deutz vermittelten, machte den Charme und Gewinn dieser Veranstaltung aus.
Torsten Kleinz liefert auf heise.de einen ausführlichen Bericht zu den Veranstaltungen am ersten Tag, der hier durch eine Zusammenfassung der Panels am Samstag vervollständigt werden soll. (In absehbarer Zeit soll der Video-Mitschnitt der gesamten Konferenz auf der Internet-Präsenz online gestellt werden.)
Der Vortrag „'Da sind die Roboter!' – Von Robotern, Bastlern und der Zukunft der Robotik“ des Wahlberliners Philip Steffan bot einen Einblick in die freie Design-, Künstler- und Elektronik-Szene und in auf dem „share“-Gedanken basierenden Kooperationen und Initiativen. Während sicherlich nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten, auch innerhalb der Digitalen Kultur, technische Fertigkeiten und mentale Ausdauer zum „Selberschrauben“ und Basteln an technischem Gerät und sogar Robotern mitbringt, ist der dahinterstehende Grundgedanke auch für Nicht-Techniker intuitiv verständlich und adaptierbar: „Open Design steht für die Entwicklung, das Adaptieren, Modifizieren und Konstruieren mit neuen Werkzeugen und Technologien. Es verbindet praktische Ansätze mit kollaborativen Arbeitsökonomien und verwischt die Grenzen zwischen Produkt und Artefakt. Open Design ermöglicht einen offenen Zugang zu Objekten und kontinuierlichen Möglichkeiten der Intervention.“
Übrigens: Wer nicht selbst in Gegenwart einer der Musen lebt, sondern sich als aktiver Konsument an schönen Dingen freut, dem bietet Open Design ebenfalls Entfaltungsmöglichkeiten. Denn wie Software-Entwickler stellen inzwischen auch namhafte Designer ihre Entwürfe online, frei zum Nachbau. So veröffentlicht der vom US-Technologiemagazin „Wired“ zum „Designguru“ ernannte israelische Produktdesigner Ronen Kadushin seine fertigen Pläne unter der cc-Lizenz by-nc-sa, die dann mit gängigen CAD-Programmen sogar weiterbearbeitet und natürlich alle gebaut werden können. Die technische Entwicklung, das „Internet der Dinge“ schreitet noch weiter voran: nicht nur Baupläne, sondern das „Ding an sich“ wird man in Zukunft vielleicht direkt aus dem Netz beziehen können. Die ersten funktionierenden der Digital Fabricator („Fabber“, „3D-Drucker“) sind schon auf dem Markt und können aus digitalen Daten dreidimensionale Objekte erstellen. Der „Replikator für Jedermann“, genauso einfach an den heimischen Computer anzuschließen wie ein „normaler“ Drucker, hat sicherlich angesichts der zumeist aus Plastik hergestellten beweglichen Teile in Geräten eine gute Chance, den Vertrieb von kleineren und mittleren Ersatzteilen für Produzenten und Konsumenten nachhaltig zu revolutionieren und zu erleichtern.
„Vom kreativen Zweifel an immateriellen Eigentumsrechten“ ist der Vortrag von Martin Butz, Geschäftsführer sym.net, Köln, Mitinitiator und Organisator der art 2.0, Initiative zum digitalen Wandel, übeschrieben. Weniger theoretisch als praktisch ausgerichtet, wurden dem wohlig schaudernden Publikum schon „klassisch“ zu nennende Beispiele dessen präsentiert, was Helene Hegemann pauschal den „Urheberrechtsexzess“ nannte. Rechtsstreitigkeiten unter Künstlern wie Moses Pelham und Kraftwerk um einen Schnipsel Rhytmus, ein internationaler Megastar, der gegen ein Homevideo auf YouTube vorgeht, bei dem zufällig im Hintergrund seine Musik in schlechter Qualität aus dem Radio schallt, der Kampf um Erlöse aus und Hoheitsrechte wie Kontrolle über „Geistiges Eigentum“ hat für Nicht-Eingeweihte inzwischen selbst kreative, wenn nicht gar skurrile Formen angenommen. Das Motto des Kongresses – „be shareful!“ – ist die unausgesprochene Antwort auf die Frage nach dem kreativen Umgang mit kreativen Gütern, der Ausweg aus dem Dilemma, dass Kreativität immer Kreativität beflügelt, kreative Werke der Vergangenheit die Grundlage für kreative Werke der Zukunft sind. Die „Autorschaft als Werkherrschaft“, wie sie die Lehre vom „Originalgenie“ und der „Originalschöpfung“ vertritt, hat gerade in der Metapher vom künstlerischen Werk als „Kind“ des Urhebers ihre einleuchtenden Grenzen: Wie aus Kindern Leute, Menschen erwachsen werden und sich von ihrem Elternhaus lösen und emanzipieren (freilich ohne Herkunft und Bindung vollends zu verleugnen), so muss auch der Urheber als Vater oder Mutter seiner Schöpfung ein gesundes Verhältnis zu und mit seinem „Kind“ entwickeln. Missbrauch oder Entstellung von Werken ist jedoch seltener Gegenstand von Klagen als der Vorwurf, nicht hinreichend an den materiellen Erlösen aus der kreativen Nutzung durch Dritte beteiligt zu werden. Im Bedürfnis, kreative Werke als Erlösquellen für Inhaber von Nutzungsrechten zu erhalten, greifen Rechteinhaber – und das haben die Beispiele mehr als anschaulich, wenngleich mit einer gewissen Plakativität gezeigt – immer mehr zu wirklich „exzessiven“ Maßnahmen, bis hin zum Versuch, künstlerische Werke prinzipell nicht mehr als allgemeines Kulturgut zu definieren. Die fortdauernde Ausweitung der Schutzfristen urheberrechtlichen Schutzes von Werken bedeutet eine Monopolisierung und Kontrolle von Kulturgütern in den Händen einzelner Menschen oder Unternehmen. Wird dieser Entwicklung nicht nachhaltig Einhalt geboten oder etabliert sich nicht auf Dauer eine Gegenbewegung, würde das eine Verarmung der Kultur zur Folge haben.
Für manche Menschen ist das Aufkommen elektronischer Texte, die Abkehr vom gedruckten Buch und die Hinkehr zu e-Readern und Tablet-Computern wie aktuell dem iPad eine Zeichen von kultureller Verarmung. „Gutenbergpresse Goodbye, eReader Ahoi?!?“, das Gespräch mit dem Journalisten Marc Tißler und dem Verlagsberater Leander Wattig (moderiert von Moritz „mo.“ Sauer), frönte einem technikaffinen Fortschrittsglauben. Digitale Texte haben Zukunft und werden – auf welchem Gerät auch immer – dereinst Standard werden, so wie das Automobil die Pferdekutsche abgelöst hat. Das gedruckt Buch wird als qualitativ hochwertiges Produkt für wenige Connoisseurs ein ähnliches Dasein fristen wie die Pferdedroschken in Wien, die sich heute höchstens regelmäßig noch als touristisches Ereignis behaupten können. Es war sehr viel von „Inhalten“ die Rede, neudeutsch: „content“, weniger von „Literatur“, die Nachteile der ersten marktreifen Geräte gelten als vor allem anfängliche Kinderkrankheiten, die „usability“ werde sich sukzessive verbessern und wohl eine Art Paradigmenwechsel einleiten. Ob das Verhältnis von digitalem Text zu gedrucktem Text in naher oder ferner Zukunft ähnlich dem von Automobil und Kutsche, das Buch nur mehr nostalgisches Modell kultureller Old-Timer sein wird, muss derzeit natürlich noch offen bleiben. Digitale Erlösmodelle in der „share-culture“ des Internets werden jedenfalls nur dann eine Chance haben, wenn sie dem Nutzer entgegenkommen und nicht erwarten, dass der Nutzer zu ihnen kommt. Das Netz als „Raum der unbegrenzten Möglichkeiten“ bietet genügend legale oder illegale Alternativen als wirkmächtige Konkurrenz verfehlter Geschäftsmodelle.
Zum Abschluss der Cologne Commons 2010 organisierten Lars Sobiraj und Joachim Losehand einen Ausblick auf den Auftakt zum 3. Korb des Urheberrechts. Die Autoren Evrim Sen und Christian Heinke, Stephan Benn vom Verband Unabhängiger Tonträger (VUT) und die beiden Juristen Timo Ehmann und Harald Müller vom Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft diskutieren mit den Moderatoren über die Anforderungen an ein Urheberrecht, das dem digitalen Informationszeitalter gerecht wird. Wichtiges Schlagwort für die kommenden Verhandlungen wird der „gerechte Interessensausgleich“ zwischen Urhebern, Nutzern und Werkvermittlern sein, so Timo Ehmann. Harald Müller, Jurist und Bibliothekar am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg setzte sich für eine Stärkung von Bildung und Wissenschaft im Urheberrecht ein und betonte die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform des Gesetzeswerkes. Auch Evrim Sen hielt mit Blick auf die Internetkultur und das Motto „be shareful“ eine Neupositionierung der Nutzer und eine Stärkung ihrer Rechte in einem neuen Urheberrecht für notwendig.
Stephan Benn vom VUT hingegen war davon überzeugt, dass das Urheberrecht vor allem den Urheber beziehungsweise den Rechtinhaber zu schützen habe und ihm ein materielles Auskommen sichern müsse; das Urheberrechtsgesetz sei kein Verbraucherschutzgesetz, nicht der Konsument, sondern der Produzent bedürfe des Schutzes. Nicht ein „Großer Wurf“, sondern überfällige Korrekturen im Detail seien also das Gebot der Stunde. „Schraubt“ und „feilt“ der Gesetzgeber schließlich nur hier und dort am Gesetzestext, wird damit natürlich auch die klassische Rollenverteilung von Urheber und Konsument weiter theoretisch gefestigt. Ignoriert wird damit die Realität der Praxis, in der durch den technischen Fortschritt diese Gruppenzugehörigkeit aufgebrochen wurde und Urheber-Verwerter-Nutzer in unterschiedlichen Personalunionen potentiell bzw. faktisch existieren. Denn im „Mitmach“-Internet ist jeder Nutzer oder Konsument auch gleichzeitig Urheber, wenigstens der Möglichkeit nach.
Weitgehend einig waren sich jedoch alle Gesprächspartner, dass vom „Dritten Korb“ nicht allzu viel erwartet werden darf; die den Status Quo wenigstens bewahrenden und ihre alten Geschäftsmodelle schützenden Kräfte haben sich längst positioniert und betreiben seit längerem eifrig Lobbyarbeit für ihre Sache. Ein echter Interessensausgleich würde bedeuten, dass gerade die Rechteverwerter zurückstecken und Nutzerrechte ausgebaut werden müssten. Die internationale Entwicklung, deutlich an den Verhandlungen zum Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) und an den Initiativen auf europäischer Ebene lassen jedoch vermuten, dass unternehmerische Initiativen sich auf absehbare Zeit nur in einer juristischen Absicherung erschöpfen und der Kreativindustrie weiter die Kräfte zu kreativen und nutzerorientierten Geschäftsmodellen und grundlegenden Reformen fehlen werden.
am Montag, 14.06.2010 17:22 Uhr
News Redaktion am 21.09.2016, 09:04 Uhr
So tickt die Welt eben: Einige Menschen haben so viel Geld, dass sie nicht wissen, was sie damit tun sollen, andere müssen darum bangen, sich etwas zu Essen leisten zu können. Der Sohn eines chinesischen Milliardärs beispielsweise kaufte für seinen Hund gleich sieben iPhones.